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Wie die Idee von Strafe entstanden sein könnte
Der Schöpfungsmythos im Alten Testament beginnt mit einer Strafe: Wegen Ungehorsam vertreibt Gott den Menschen aus dem Paradies und wegen seiner Verderbtheit schickt er ihm die Sint.ut. Der strafende Gott ist neben dem barmherzigen Gott für die Christenheit eine Realität.Weshalb straft Gott? Er straft im Zorn oder aus Eifersucht, um der Gerechtigkeit willen, um eine Umkehr seines Volkes zu erreichen, um es zu erziehen. Die Vorstellung des strafenden Gottes hat einen großen Ein.uss auf die Haltung in Kirche und Staat. Ihren beklemmenden Höhepunkt .ndet die Strafpraxis in der Inquisition. Der göttliche Zorn kann nur besänftigt, die kollektive Bestrafung des ganzen Volkes kann nur abgewendet werden, wenn der Täter hart bestraft wird. Ausgleichende Gerechtigkeit wird das genannt.
Der Verfechter einer solchen Vergeltungstheorie ist beispielsweise Immanuel Kant. Er schreibt in seiner Metaphysik der Sitten: ?Selbst, wenn sich die bürgerliche Gesellschaft mit aller Glieder Einstimmung au.ösete (...), müsste der letzte im Gefängnis be.ndliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Taten wert sind, und die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte...? (Kant 1902).
Wo liegen die Motive für Vergeltung? Sie scheinen mit dem weit verbreiteten Bedürfnis nach Ausgleich zusammen zu hängen. Jede Handlung, die das Beziehungsgefüge zwischen Menschen verändert, verlangt nach einem Ausgleich. Dies gilt übrigens auch beim Geben. Ein Geschenk, das man uns macht, oder eine Einladung, die wir annehmen, rufen ein Gefühl des Ungleichgewichtes zwischen Gebendem und Nehmendem hervor. Wir fühlen uns zu einer Gegengabe oder zur Erwiderung der Einladung verp.ichtet.
Dabei geht es mitunter mehr als um einen materiellen Ausgleich, wie das Beispiel eines Einbruchdiebstahls zeigt: Der Ausgleich des materiellen Schadens alleine genügt nicht; die Verletzung meiner Privatsphäre und meine Angst sollen gesühnt oder abgegolten werden, indem auch der Täter Einschränkung und Angst erfährt. Damit ist die Welt wieder in Ordnung, wieder im Lot, der Ausgleich ist geschaffen, dem Prinzip der Reziprozität ist Genüge getan.
Straftaten lassen sich aber nicht dadurch aufheben, dass Gleiches mit Gleichem vergolten wird. Wenn jemand, der einem andern ein Auge ausgestochen hat, selbst ein Auge verlieren muss, dann erfolgt zwar ein Ausgleich bestenfalls aber auf einem tieferen moralisch?ethischen Niveau. Der Vergeltungsgedanke führt unweigerlich zu Destruktivität. Ein Mörder muss hingerichtet werden, damit das Gleichgewicht wiederhergestellt wird.
Der Versuch, das Strafrecht nur noch auf Prävention, Resozialisierung und Wiedergutmachung auszurichten, stößt auch in unserer Zeit immer wieder an Grenzen nicht zuletzt wegen des ?Strafbedürfnisses der Bevölkerung?, wie die Juristen das nennen. Allerdings werden auch noch andere Argumente für Bestrafung ins Feld geführt, wie die der Abschreckung oder des Schutzes der Bevölkerung vor gefährlichen Tätern. Weitere Aufschlüsse darüber bietet ?Strafen ? ein Buch zur Strafkultur der Gegenwart? (2004), das zur Eröffnung einer Ausstellung im Stapferhaus Lenzburg veröffentlicht wurde.